Datum der Veröffentlichung: 25 Mai 2014
McLaren 650S
Autotest

McLaren 650S

Tiefflug

Autotest - Die meisten Flugzeuge sind schnell und dazu gedacht, Urlauber bequem über große Entfernungen zu transportieren. Privatflugzeuge werden oft als Spielzeuge betrieben, um die Freiheit zu genießen. Die meisten Autos sind als tägliches Transportmittel von A nach B gedacht. Sportwagen sind Spielzeuge, um die Geschwindigkeit zu genießen. McLaren will mit dem "650S" zeigen, dass es auch anders geht.

Nein, McLaren ist nicht vom Glauben abgefallen. Der "650S" ist kein braves Familienauto. Im Gegenteil! Dieses zweisitzige Sportcoupé ist ein reinrassiger Sportwagen. Die Linien sind nicht so sehr von Designern, sondern wurden vor allem für den Windkanal gewählt.

Um die Leistung zu maximieren, hat man soviel wie möglich an Gewicht gespart. Daher wurden, wo das geht, Kohlenstofffasern verwendet. Für eine optimale Balance ist das schwerste Teil, der Motor, genau in der Mitte positioniert. Der Motor liegt dabei sogar noch unter der Oberseite der Radkästen. Unter der gläsernen "Motorhaube" sind nur die Lufteinlässe zu sehen.

McLaren 650S

Gewichtsreduktion

Im Interieur ist deutlich zu erkennen, wie der McLaren 650S sich von der "Hardcore"-Konkurrenz unterscheidet. Trotz der Verwendung von Kohlenstofffasern ist das Interieur keine blanke Schale, in welcher die mechanischen Teile offen liegen. Der Innenraum ist wunderschön verkleidet, und die Not wurde zu einer Tugend, indem man Bedienungselemente eine minimalistische Form gegeben hat. Die Mittelkonsole ist beispielsweise so schmal, dass der Bildschirm des Navigationssystems nur stehend hineinpasst. In der Praxis funktioniert das sogar besser; der Fahrer möchte nämlich wissen, wie der Weg vor dem Auto aussieht.

Optional kann man den 650S mit einem qualitativ hochwertigen Audiosystem von Meridian ausstatten lassen. Diese "Einzelzelle" ist fast wie eine feindliche Umgebung für ein Audiosystem, aber durch viel Feinabstimmung ist der Sound letztendlich in Ordnung.

McLaren 650S
McLaren 650S

Die Sitze werden immer nach Maß angefertigt. Ein Einstellmechanismus wäre zu schwer. Das Lenkrad ist seltsamerweise jedoch (optional) elektrisch verstellbar.

Vielleicht eine der wichtigsten Errungenschaften: Für einen Mittelmotor-Sportwagen ist die Kopf- und Beinfreiheit bemerkenswert gut! Unter der Fronthaube ist Platz für zwei kleine Koffer. Darüber hinaus ist das Chassis überdurchschnittlich gut überschaubar. Die Heckscheibe trägt tatsächlich zur Übersicht bei, und um einfacher manövrieren zu können, ist eine Rückfahrkamera verfügbar.

McLaren 650S

Überflieger

Während der ersten vorsichtigen Kilometer fällt vor allem auf, dass der 650S extrem breit und niedrig ist. Letzteres gilt für den Sitz und die Bodenfreiheit. Aber: Mit einem Knopfdruck kann das Chassis ein paar Zentimeter angehoben werden. Geschwindigkeitsbegrenzungen sind daher kein Problem, und das ist mit verschiedenen anderen Autos dieses Kalibers schon mal anders.

Die Gasannahme ist nicht aggressiv, eher indirekt! Die Lenkung ist exakt, aber nicht nervös. Wer den 650S nicht provoziert, kann mit diesem Auto reibungslos mit dem Verkehrsfluss mitfahren. Darüber hinaus ist das Fahrgestell so eingestellt, dass auch lange Strecken kein Problem sind.

McLaren 650S

Tiefflug

Bei niedriger Drehzahl heult, knurrt und winselt der Motor, als ob er anzeigen wolle, dass es doch schon etwas schneller gehen könnte. Na dann! Wenn das Gaspedal eingedrückt wird, schnappt der 3,8-Liter-Achtzylinder zu. Dann werden die Insassen sanft in die Sitze gedrückt, und die Beschleunigung baut sich auf wie eine Apotheose aus einem klassischen Musikstück. Die Spannung steigt, das Tempo auch, und irgendwann muss es zu einem Höhepunkt kommen.

Zunächst ist die Leistungsspitze vergleichbar mit der eines Alfa Romeo 4C, Nissan 370Z oder eines anderen durchschnittlichen Sportwagens. Der Unterschied ist, dass der McLaren 650S erst jetzt auf Touren kommt! Halten Sie das Gaspedal bis zum Boden eingedrückt, und bei rund 5.000 RPM kommt es zu einer Explosion, die ihresgleichen sucht. Die Geschwindigkeit erhöht sich so plötzlich, dass es scheint als ob ein Film auf "Schnellvorlauf" abgespielt wird. Der Fahrer konzentriert sich nur noch auf den Horizont, die Geschwindigkeit erhöht sich weiter, der übrige Verkehr scheint still zu stehen, und die Landschaft schießt mit einer unwirklichen Geschwindigkeit am Auto vorbei.

McLaren 650S

Beeindruckt? Der McLaren 650S nicht. Dies war nur ein Sprint im Standardmodus. Setzen Sie den Motor in den "Power-Modus" und das Fahrgestell in den "Track-Modus" und versuchen Sie es nochmal. Die Gasannahme ist geradezu aggressiv und alle 650 Pferdestärken schreien auf.

„Dank der speziellen Technik weiß McLaren die Aufregung eines atmosphärischen Motors mit der Lebendigkeit eines Turbomotors zu vereinen.“
McLaren 650S

Die Geschwindigkeit steigert sich so dramatisch, dass der Film, der eben noch im Schnellvorlauf abgespielt wurde, jetzt auf vage Linien reduziert wird. Die Innsassen werden nicht länger gefühlvoll in die Sitze gedrückt, sondern brutal in die Sitze gequetscht!

Der 650S beschleunigt nicht länger, er bricht aus. Nach 3 Sekunden sind die 100 km/h erreicht. Das erscheint spektakulär, aber die Beschleunigung von 100 auf 200 km/h in 5,4 Sekunden ist wirklich überwältigend! Und auch oberhalb von 200 km/h ist der 650S bissiger als ein durchschnittlicher "Hot Hatch" bei 50 km/h. Der 650S hat Heckantrieb, die extrem breiten Hinterreifen (305/30R20) sind jedoch so gut darin, die Leistung zu verarbeiten, dass während der Renn-, oh Entschuldigung, Probefahrt niemals ein Allradantrieb ersehnt wurde.

McLaren 650S

Technik

Dank der speziellen Technik weiß McLaren die Aufregung eines atmosphärischen Motors mit der Lebendigkeit eines Turbomotors zu vereinen. In der Regel ist der Spaß mit einem Turbo kurz, aber intensiv. Ein atmosphärischer Motor läuft dagegen auf einen Höhepunkt zu. Das ist spannender, aber weniger intensiv. McLaren hat diesen Unterschied zwischen den beiden mit "Inertia Push" aufgelöst. Damit wird die Drehzahl kurzzeitig erhöht, wenn der Turbo das (noch) nicht macht.

Dazu wählt McLaren mit dem 3,8-Liter einen relativ kleinen Motor. Dieser ist schneller auf Touren als ein größerer. Darüber hinaus sind große Fünf-oder Sechsliter-Motoren so schwer, dass sich allein schon das Gewicht des Motors negativ auf die Leistung des Fahrzeugs auswirkt.

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Straßenlage

Gerade wegen des lebendigen Charakters des Motors ist Kurvenfahren mit dem 650S ein wahres Vergnügen. Abgesehen davon, dass die Kurvenschwindigkeiten unglaublich hoch sind, wird die Geschwindigkeit nach der Kurve fast sofort zurückgewonnen.

Die Servolenkung jedoch ist etwas gewöhnungsbedürftig. McLaren setzt auf eine traditionelle mechanische Servolenkung, das Gefühl im Lenkrad blieb jedoch während der ganzen Probefahrt etwas ungewohnt. Das wird zum Teil durch eine klevere Technik verursacht: Alle vier Räder sind miteinander verbunden, und wenn mehr Druck auf ein Rad ausgeübt wird, bekommen die anderen weniger Druck, um nach der Kurve schneller wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Damit ändert sich aber auch das Gefühl im Lenkrad bei jeder Änderung der Bedingungen.

McLaren 650S

Die Balance des Autos selbst ist fast perfekt. Dank des Mittelmotors und das niedrige Gewicht ist der 650S sehr mobil. Das Gesamtgewicht des 650S kommt durch die Kohlenstofffasern auf 1.330 kg; ein Golf GTI ist ein Schwergewicht neben dem McLaren! Da sich der 650er perfekt anfühlt, wissen auch weniger talentierte Fahrer automatisch, wo der Bremmspunkt der Kurve ist, was die beste Linie ist und vor allem, wann das Gaspedal wieder voll eingedrückt werden kann.

Die Carbon-Keramik-Bremsen sind auch etwas gewöhnungsbedürftig. Diese Bremsen sind dafür vorgesehen, auf der Rennstrecke sehr intensiv genutzt zu werden, und verlieren nie ihre Bremmskraft, auch nicht bei höheren Temperaturen. Der Nachteil ist, dass das Gefühl im Bremspedal geringer ist. Wenn voll auf das Bremspedal getreten wird, beträgt der Bremsweg bei 100 km/h nur 30 Meter. Dann schießt der Heckspoiler hoch und wirkt als Bremse - genau wie bei einem Flugzeug.

McLaren 650S
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Fazit

Ist der McLaren 650S in der Lage, die Benutzerfreundlichkeit eines Alltagsautos mit dem Spektakel eines "Supersportwagens" zu kombinieren? Natürlich ist ein typisches Familienauto praktischer und komfortabler. Aber der McLaren 650S ist mindestens so spektakulär wie andere Supersportwagen, während die Alltagstauglichkeit deutlich besser ist. Der 650S schafft es über Bremsschwellen, hat einiges an Stauraum und bietet den nötigen Luxus wie Klimaanlage und erstklassige Unterhaltung. Das Motorengeräusch ist prominent, das Fahrgestell ist steif, aber beide sind nicht so ermüdend, dass das Fahren langer Strecken unmöglich wird.

Leichte Bauweise und optimale Gewichtsverteilung gewährleisten eine sehr gute Straßenlage. Der relativ kleine Motor mit Twin-Turbo kombiniert das Erlebnis eines atmosphärischen Motors mit der Brisanz eines Turbos. Dies gibt dem 650S einen eigenen Charakter. Dieser McLaren ist weniger kaltblütig als ein Deutscher oder Japaner, aber nicht so dramatisch wie ein Italiener. Nur die Flügeltüren sind reine Show, aber das gehört zu einem Tiefflieger.

plus
  • Extrem schnell
  • Ausgezeichnete Fahreigenschaften
  • Für den täglichen Gebrauch geeignet
minus
  • Steuerung gewöhnungsbedürftig
  • Ungeschickt dünne Hebel an der Lenksäule
  • ärgerliche Reflexion der gelben Nähte in der Windschutzscheibe